Cholatse 6.440- Erstbesteigung „JUST ONE SOLUTION!“– ED (WI4+, M5, 1200 m) 2.-3.11.2023 Zdeněk Hák und Radoslav Groh. Gewidmet dem Andenken an Honza Ros (13.12.1977-25.10.2023)
Langsam heben wir wieder vom Erdboden ab und machen uns mit einer Ladung Eier auf den Weg von Lukla nach Syanboche. Ja, wir sind wieder hier. Zurück in den Bergen, zurück unter den Schicksalsberg von Honza. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Ich glaube, ich bin völlig verrückt geworden! Nach allem, was wir hier vor ein paar Tagen durchgemacht haben. Nach all diesen Vorsätzen, nie wieder hierher zu kommen! Aber nach ein paar langen Tagen in Kathmandu wurde es uns dort langsam etwas zu eng und eingeschränkt. Es war noch eine ganze Woche bis zu unserer Abreise, und wir fühlten uns in dieser Stadt fehl am Platz. Also beschlossen wir nach Rücksprache mit unserer Familie und unseren Freunden, nach Cholatse zurückzukehren und zu versuchen, Honzas Go-Pro-Kamera zu finden. Und wenn es möglich sein sollte, werden wir versuchen, auf den Gipfel zu steigen. Das ist sicher eine bessere Idee, als noch eine Woche lang in Kathmandu abzuwarten und Tee zu trinken. Aber wir müssen jetzt jeden Tag nutzen, und Subin organisiert einen Hubschrauber, der uns ein Stück oberhalb von Namche Bazar absetzt. Das erspart uns etwa einen Tagesmarsch... Nach ein paar Minuten Flug sind wir da. Nur ich, Radoslav (genannt Radar) und zwei große Rucksäcke. Eigentlich drei.... Der Pilot winkt uns noch einmal zu und fliegt mit einem Hubschrauber voller Eier weiter, Gott weiß wohin! Plötzlich ist es wieder ganz still und wir zwei stehen allein und wie nackt mitten im Himalaya. Es ist später Nachmittag und überall Stille und Ruhe.
Unser ursprünglicher Plan, die Südwand des bisher unbezwungenen Khangri
Shar zu erklimmen, hatten wir schon lange verworfen. Es ist dafür jetzt nicht
die richtige Zeit und auch nicht die notwendige Moral oder Stimmung ist nicht
da. Jetzt interessiert uns nur noch ein Berg, und zwar ein einziger... Juraj
muss es eben selbst versuchen, was ihm allerdings überhaupt nicht fremd ist.
Wir schicken also einen Träger, damit er Ďurifuk eine kleine Tasche mit
Material direkt nach Lobuche bringt. Er schwört, am nächsten Abend dort zu
sein. Wir zahlen ihm 8.000 Rupien! Wir verstehen ihn nicht sehr gut, was er
sagt, aber wir vertrauen ihm... Wir laden also alles, was wir für ein paar Tage
in den Bergen bei uns haben, auf unsere eigenen Rücken und am nächsten Tag
schlürfen wir bereits den Tee, den wir im Basislager unterhalb von Cholatse erbettelt
haben. Innerhalb weniger Tage ist dieses Basislager merklich größer geworden. Noch vor einer Woche waren wir hier fast
allein...
Wir zahlen für Kaffee, Tee und Kekse mit einem Karabiner und setzen unseren
Weg bis unter der Wand fort. Wir "zelten" etwa 200 Meter oberhalb des
Basislagers auf einer Höhe von 4.900 Metern. Wir werden nur 300 Höhenmeter unter
der Wand sein und vor allem Ruhe haben. Wir sind gerade nicht in der Stimmung
für ein großes Wiedersehen. Schließlich beschließen wir, zuerst beim Abstieg
den Standplatz zu erkunden, wo Honza abgestürzt ist, und dann die Stelle unten
am Wandfuß, wo er aufschlug. Und dass alles natürlich nur, falls wir es
schaffen, auf den Grat hinaufzukommen. Andernfalls kehren wir die Reihenfolge
um und steigen auf dem normalen Weg über den SW-Grat auf. Wir sind so abenteuerdurstig,
dass wir keine Auszeit mehr ertragen können und morgen müssen wir einfach los!
Den Weg die Wand hinauf haben wir sowieso schon lange durchgeplant. Abends im
Zelt habe ich oft mit Honza darüber diskutiert, welche Strategie das
Kletterteam wählen muss, um gesund durch die steile Westwand zu kommen. Wir
wussten nicht einmal, ob sie überhaupt schon einmal durchklettert worden war. Und
ich hatte das vorher noch nie nachgeforscht... Natürlich hatte ich noch keine
Ahnung, ob ich diese kolossale und absolut unberührte Wand jemals, und wenn ja unter
welchen Umständen, sehen würde...
Jeder Tag verlief wie der vorherige. Gegen vier bis sechs Uhr morgens
wurden wir tagtäglich durch das ohrenbetäubende Krachen herabfallender Seracs
am Wandfuß geweckt. Dann war einige Stunden lang Ruhe, und gegen elf Uhr feuerte
die Wand wieder Eisgeschosse ab, vor allem aus dem linken Teil der Wand.
Außerdem hängt direkt unterhalb des Gipfels ein Wall aus massiven,
überhängenden Seracs wie eine Guillotine. In dieser Wand können wir einfach
nicht lange "kraxeln". Außerdem bietet die Wand oberhalb des unteren
Seracs keine einzige Rastmöglichkeit mehr, geschweige denn ein sicheres Biwak.
Daher sehen wir nur eine Lösung für all dies. Am ersten Tag muss man drei Seillängen senkrechter Eiszapfen mit der Klassifizierung WI4+, M5 erklettern und dann über relativ einfaches Gelände weitere 4 Seillängen bis zur Eishöhle weitergehen, die Sicherheit vor Steinschlag und Seracs aus der oberen Hälfte der Wand bietet. Dieser gesamte erste Abschnitt muss zwischen 7 und 10 Uhr morgens geklettert werden, wenn es relativ ruhig ist!
Wir stehen gegen 5 Uhr morgens auf und steigen den Weg hinauf, den wir
schon so oft gegangen sind. Das letzte Mal waren wir dort, als wir Honza für
den Transport vorbereiten wollten. Ich hatte es eilig und wollte das alles so
schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich erinnere mich, dass ich
stellenweise ein bisschen geweint habe, aber vor allem wollte ich so schnell
wie möglich wieder zu Hause sein... Jetzt klettern wir vorsichtiger und
versuchen, die schwarzen Gedanken zu verjagen. Vor 7 Uhr können wir sowieso
nicht klettern, das wäre paradoxerweise ein zu großes Risiko. Unter dem
Einstieg in den Eiscouloir binden wir uns an und beginnen gegen halb acht mit
dem Klettern. Nachdem wir drei Seillängen an frei hängenden Eiszapfen
geklettert sind, erkläre ich selbstbewusst, dass dies definitiv der technisch
schwierigste Abschnitt der ganzen Wand war. Aber Radar schüttelt den Kopf und
hat Recht... Gegen zehn sind wir in einem luxuriösen Biwak - einer geräumigen
Eishöhle. Nach etwa einer Stunde des Einrichtens bauen wir bereits das Zelt auf
und sind frei bis zur Nacht, wenn wir mit dem Klettern beginnen wollen. Ich
glaube nicht, dass an diesem Tag ein einziger Stein aus der Wand gefallen ist!
Könnte es sein, dass die Bedingungen besser geworden sind, oder ist das nur Zufall?
Wir wachen beide etwa eine Stunde nach Mitternacht spontan auf. Mein Körper
weiß, dass es heute hart werden wird! Die Wand über uns sieht jetzt fast
überhängend aus, und im Mondlicht glitzert sie wie ein südböhmischer Teich bei
Vollmond. Jetzt ist mehr als klar, dass wir heute nicht viel vom Firn haben
werden. Werden wir es schaffen, einen Kilometer teilweise senkrechtes Eis in
dieser Höhe zu erklimmen? Wir haben eine Menge Fragen im Kopf, aber es gibt nur
eine Antwort. Dafür gibt es nur eine Lösung! Wir müssen nonstop gehen!!! 14
Stunden am Stück gehen wir an die absolute physische und psychische Grenze. Manchmal
sind die Abschnitte im gefrorenen blauen bis grünlichen Eis völlig senkrecht
und mit jedem Schlag des Eispickels zerspringt das Eis in alle Richtungen. Das
habe ich in diesem Ausmaß beim Eisklettern noch nie erlebt, und man muss sich
schnell daran gewöhnen. Vor allem in den senkrechten Passagen ist es sehr
unangenehm. Zum Glück ist es ein nur
etwa sieben Meter hoher Aufschwung und dann lässt die Steigung immer ein wenig
nach. Trotzdem gibt es keine einzige Stelle, an der wir auch nur bequem stehen
könnten. DAS IST DER ABSOLUTE EISKLETTER-PORNO! Ungefähr in der Mitte der Wand erwartet
uns ein Abschnitt senkrechter Felsen mit einem Schwierigkeitsgrad von M4/M5.
Zum Glück ist es aber nur eine Seillänge. Das Klettern im Fels erfordert etwas
mehr Zeit als im Eis. Außerdem ist die Qualität des Felsens hier absolut
schrecklich. Dann gibt es immer mehr Abschnitte mit betonhartem Eis. Langsam
haben wir es satt. An den Standplätzen hängen wir wie die Affen in den
Bohrhaken und versuchen verzweifelt, nicht nachzulassen und in einem bestimmten
Rhythmus nach oben zu kommen… Wie Speck (Zdeněk Hák) sagt - Angst ist der beste
Koch! Sie treibt uns mit Höchstgeschwindigkeit nach oben. Manchmal geht es uns
buchstäblich zum Kotzen! Gegen Ende beginnen wir, das vorgegebene Tempo ein
wenig zu drosseln. Die Müdigkeit beginnt ihren Tribut zu fordern. Ich kann mich
damit trösten, dass auch Radar aus dem letzten Loch pfeift und die Steigung
nachlässt. Das ist zwar ein Gewinn für die Arme, aber die Waden brennen zur
Abwechslung wie Feuer. Dieser Anstieg beginnt höllisch zu wehzutun! Innerhalb
von 14 Stunden haben wir etwa drei Getränke getrunken und vielleicht einen Energieriegel
gegessen. Eher nicht einmal das! Immerhin sind wir damit losgezogen, und wir
haben kaum etwas zu essen mitgenommen... Gegen 17 Uhr sind wir endlich auf dem
Gipfelkamm. Wir lassen unsere Rucksäcke an Ort und Stelle und gehen leichten
Fußes zum Gipfel, wofür wir etwa dreißig Minuten brauchen. Ich habe dummerweise
nicht einmal meine nassen Handschuhe gewechselt und sie frieren mir bis auf die
Knochen. Ich bin nicht einmal in der Lage, einen Eispickel zu halten! So ein
Anfängerfehler!
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit sind wir auf dem Gipfel, wo wir nur wenige
Augenblicke verbringen. Es beginnt schnell abzukühlen und wir werden versuchen,
so weit wie möglich abzusteigen. Wir kehren zu unseren Rucksäcken zurück und
beginnen mit Einbruch der Dunkelheit unseren Abstieg über den SW-Grat. In C2
macht uns Asis Tee und bietet uns einen Platz für unser Zelt an. Sie sagen,
dass sie morgen zum Gipfel weitergehen werden. Wir bedanken uns für das
Angebot, beschließen aber, bis C1 abzusteigen. Auf etwa 5.900 m kommen wir an
der Stelle vorbei, an der Honza seinen langen Sturz hatte. Wir suchen die
Umgebung flüchtig ab. Ich schaue mir die Stelle, an der er abgestürzt ist, noch
einmal an und versuche zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Sie ist
völlig unversehrt! Ich bin so müde, dass
mir beim Abseilen ein Fehler unterläuft und ich im letzten Moment einen
schlecht eingerasteten Karabiner entdecke. Ich muss alle anderen Gedanken
loslassen und mich hauptsächlich auf meinen Abstieg konzentrieren... Ich
beginne mich zu beherrschen und das Radar ist sehr schnell unterwegs. Ich muss mich
noch etwa 80 Meter über senkrechte Felsplatten abseilen und wir sind in C1, wo
Radar und ich vor mehr als einer Woche die Fixierungsseile angebracht haben. Es
ist der schwierigste Abschnitt der klassischen SW-Gratkletterei, und uns
einiges an Energie gekostet! Es scheint so lange her zu sein, und in dieser
Zeit ist so viel passiert! Niemand ist hier und wir haben den gesamten C1 für
uns allein. Mitten in der Nacht bauen wir unser Zelt auf und sind so müde, dass
wir sofort einschlafen.
Am frühen Morgen beginnen wir mit dem Abstieg und kehren ohne Worte automatisch zur Stelle, an der Honza aufschlug, zurück. Nachdem wir die Umgebung noch einmal abgesucht haben, findet Radar, was wir hier suchen und was wir gesucht haben... Jetzt haben wir mit diesem Hügel endgültig abgeschlossen! Trotz all dieser Umstände spüre ich eine gewisse Erleichterung! Alle Fragen verschwinden wie von Zauberhand. Plötzlich weiß ich, was ich hier tue, ich weiß, warum ich hier bin! Wenn wir nicht zurückgekommen wären, hätten wir HONZAS WEG ZUM LICHT nie vollendet.
H.